Sigmar Gabriel hat einen sehr bemerkenswerten Artikel geschrieben, seine Kernforderung lautet: Dem entgrenzten Kapitalismus müssen Regeln gesetzt werden, er müsse sozial dazulernen oder er werde scheitern (Seite 1). Aber CETA setzt nicht diese Regeln, für die sich Gabriel ausspricht!
Gabriel schreibt: „Der globalisierte Finanzkapitalismus unserer Tage kassiert die Unabhängigkeitserklärungen der großen demokratischen Revolutionen, die Erklärungen der Menschen- und Bürgerrechte und die Errungenschaften der Arbeiterbewegungen. Er spaltet. Er übertreibt. Er riskiert den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaften.“ (S. 2 f.) Auch diese Ungeheuerlichkeit aus demokratischer und sozialer Sicht ist leider wahr. Welche wichtige Erkenntnis eines sozialdemokratischen Parteivorsitzenden.
Beim entgrenzten Kapitalismus, gegen den sich Gabriel wendet, sollen „keine zivilisatorischen Regeln Bestand haben, demokratische Institutionen und Entscheidungen sollen nicht mehr höher gesetzt werden als „ungebremst profitgetriebene Marktkräfte“. Gegen diesen Kapitalismus will sich auch Gabriel wehren: „eine solche Kapitulation ist undenkbar.“!!! (S. 2)
Deswegen sei auch ein „Paradigmenwechsel in der Handelspolitik zur international vereinbarten Sicherung von Sozial- und Umweltnormen“ notwendig. „Die aktuellen Abkommen zwischen der EU und den USA sowie Kanadas sind der Prüfstein, welche Richtung der Westen einschlägt, um beispielgebend für eine globale Handelsordnung zu werden.“ (S. 10)
Diesen sehr kapitalismuskritischen Äußerungen Sigmar Gabriels muss voll zugestimmt werden! Und auch den Bemerkungen, dass ansonsten die soziale Stabilität Europas gefährdet würde und Rechtspopulisten noch mehr Zulauf bekommen würden!
Das Problematische ist nun, dass Gabriel meint, mit CETA würde dieser ‚Paradigmenwechsel‘ vollzogen werden, es würde also ein ‚grundlegender Wandel der Rahmenbedingungen‘ stattfinden. CETA würde die Sozial- und Umweltnormen sichern, würde dem „entgrenzten Kapitalismus“ Grenzen setzen: „Mit Kanada ist ein Vertragsentwurf gelungen, der zwar nicht alle Fragen auflöst, der aber relative Fortschritte ermöglicht, indem die private Schiedsgerichtsbarkeit für Investitionen abgelöst wird durch einen Investitionsschiedsgerichtshof, die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation gestärkt werden, soziale Daseinsvorsorge in öffentlicher Regie möglich und demokratisch beschlossene Marktregulierung, solange sie für alle gleich gilt, unangetastet bleibt.“ (S.10)
Ja, es wurden einige Verbesserungen gegenüber früheren Handelsabkommen erreicht, insbesondere durch den Druck der Öffentlichkeit und durch Bernd Lange und die sozialdemokratische und sozialistische Fraktion im EU-Parlament.
Aber Nein, die Ansprüche, die Gabriel in diesem Artikel selbst formuliert hat, sind in CETA nicht erfüllt!
Der Markt wird höher gesetzt als die demokratischen Institutionen Europaparlament und Bundestag, weil nicht gewählte Gremien von CETA u.a. die unbestimmten Rechtsbegriffe CETA‘s auslegen!
Es wird an den „neuen kategorischen Imperativ dieser Glaubenslehre“ der unbegrenzten Globalisierung angepasst, indem das Kapital weiterhin nicht vor normalen Gerichten klagen muss, sondern wie im Feudalismus die Sondergerichte der Investitionsschiedsgerichtshöfe eingerichtet werden. Das, Sigmar Gabriel und Bernd Lange, ist ein sehr, sehr relativer Fortschritt gegenüber der privaten Schiedsgerichtsbarkeit. Denn diese Gerichte unterliegen auch nicht dem Verfassungsrecht des Grundgesetzes! Auch diese Sondergerichte müssen prüfen, was „billig und gerecht“ für das internationale Kapital ist! Sie müssen hauptsächlich für dieses eine Prozent der Weltbevölkerung, das laut Oxfam fast 50% des weltweiten Vermögens besitzt S. 4), urteilen. Sie bewahren die Privilegien dieser herrschenden Klasse mit einer für sie extra eingerichteten Gerichtsbarkeit.
CETA verfolgt auch den Negativlistenansatz. Das heißt, alles, was nicht ausdrücklich von der Deregulierung ausgenommen ist, kann dereguliert werden, und die von Gabriel so gerühmten Investitionsschiedsgerichtshöfe werden dies gegen die Staaten, gegen „die sozial engagierte Zivilgesellschaft“ und die „wütenden Gesellschaften, in der die ihrer Träume beraubten Mittelschichten aufbegehren“, durchsetzen müssen.
CETA enthält auch nicht das Vorsorgeprinzip. Zuerst können im Interesse des Kapitals Verbraucher und Arbeitnehmer geschädigt werden, bis wissenschaftlich bewiesen ist, dass dies auch tatsächlich der Fall war. Bis dahin müssen die tollen Investitionsschiedsgerichtshöfe Recht gegen Verbraucher und Arbeitnehmer sprechen.
Die *sozialdemokratischen Juristen der SPD Nordrhein-Westfalens, die Ex-Justizministerin Herta ***Däubler-Gmelin***, zahlreiche ***Professoren des Völkerrechts***, viele ***sozialdemokratische Europaabgeordnete***, viele ***Organisationen*** und viele ***Orts-, Kreis- , Bezirks- und Landesverbände der SPD*** haben aufgeführt, inwieweit CETA gegen die roten Linien der SPD verstößt.
Wann endlich findet auch Sigmar Gabriel die Zeit, sich mit dieser Kritik inhaltlich zu befassen, und den Willen, die Konsequenz zu ziehen und CETA abzulehnen?! Wann sagt er endlich nicht nur einen Satz zu CETA und einen Satz zu TTIP, wann endlich argumentiert er mit den Inhalten des Abkommens?
Was Gabriel für den globalisierten Finanzkapitalismus beschreibt, gilt leider auch für CETA, und erst recht für TTIP: Es kassiert die Unabhängigkeitserklärungen der großen demokratischen Revolutionen, die Erklärungen der Menschen- und Bürgerrechte und die Errungenschaften der Arbeiterbewegungen. Es spaltet. Es übertreibt. Es riskiert den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaften.
Dieses CETA ist antidemokratisch und unsozial. Es so zu akzeptieren, wäre eine Niederlage im „Kampf gegen autoritäre und unterdrückende Machtapparate“(S.9), die intransparent ohne Beteiligung der Parlamente und der Öffentlichkeit diese Nebenverfassung für die Interessen des internationalen Kapitals ausgehandelt haben. CETA würde weiter zu Flüchtlingsströmen führen, weil es EU und Kanada bevorzugt und alle anderen Länder benachteiligt. Es spaltet weiter die Gesellschaft. Es würde weiter die Verlierer dieses Abkommens in die Hände der Rechtspopulisten treiben.
Wir benötigen Handelsabkommen, die demokratischer, sozialer, ökologischer sind, demokratisch ausgehandelt werden und die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung berücksichtigen, auch der internationalen. "Dafür brauchen wir nicht mehr Europa, sondern vor allem ein anderes" (S.6); vor allem ein anderes, als es in CETA formuliert ist.
Gabriel zitiert den verstorbenen katholischen Bischoff von Hildesheim, Josef Homeyer: „Das Ziel der Globalisierung muss Gerechtigkeit für alle werden und nicht Reichtum für wenige.“ (S. 5) CETA strebt das Gegenteil hiervon an. Es beruht auch nicht auf einer den „allgemeinen Prinzipien des sozialen Ausgleichs und der Gerechtigkeit fußenden Rechtsgemeinschaft“ (S. 5), denn die von Gabriel und Lange befürworteten Investitionsschiedsgerichtshöfe müssen nach einem Recht urteilen, das nur für die ausländischen Investoren, nicht aber für die normalen Staatsbürger gilt.
Gabriel hat Recht: „Jeder Schritt in die richtige Richtung macht Sinn und macht die Welt etwas freier, demokratischer und gerechter.“ CETA aber ist die falsche Richtung. CETA ist trotz leichter Verbesserungen immer noch ein schlechtes Beispiel für eine globale Handelsordnung. CETA macht die Welt unfreier, undemokratischer, ungerechter! Sozialdemokraten wollen das Gegenteil! „Sie wollen nicht Knechte sein.“ (S.9)
Sigmar Gabriel, Dem entgrenzten Kapitalismus Regeln setzen:
Bernd Lange will immerhin nacharbeiten. Ob das gelingt und reicht?
Viele Links, bei denen inhaltlich sich mit CETA befasst wird
Wolfgang Schmid hat Betriebswirtschaft, Volkswirtschaft, Wirtschaftspädagogik, Öffentliches und Privates Recht, Soziologie und Politik studiert. Er ist Mitglied des Vorstands der SPD Büchenbach. Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Sie muss nicht zwangsläufig die Meinung der SPD Büchenbach oder die Meinung anderer Autoren dieser Seiten wiedergeben.